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Dienstag, 22. Dezember 2009

In was für einer Welt leben wir und wie geht es weiter?

Liebe Freunde,

Matthias, ein sehr guter Freund von mir hat in einer zusammenfassenden email an seine Freunde und Familie die Ereignisse und seine Erlebnisse in Kopenhagen geschildert. Ich fand seine Schilderungen und Schlußfolgerungen so eindrucksvoll und wichtig, dass ich ihn gebeten habe seine Nachricht als Nachruf auf Kopenhagen auf Klimaxikon posten zu dürfen. Sein Hauptpunkt ist der selbe, den ich schon einige Male genannt habe. Es geht jetzt darum selbst aktiv zu werden und ein möglichst großes Netzwerk mit ebenfalls aktiven Menschen zu bilden und zu leben. Wir dürfen nicht länger warten bis die UN oder sonst jemand in Kopenhagen oder sonstwo unsere Zukunft gegen die Wand fährt. Wir müssen uns zusammenschliessen und etwas neues beginnen.
Hier nun also der Bericht von Matthias (Vielen Dank!):

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Familie!

Wow - was für ein Jahresabschluss. 8 Tage Klimagipfel in Kopenhagen bergen Stoff für stundenlange Erzählungen. Mit einem riesigen Rucksack an Erlebnissen bin ich seit gestern Nacht wieder in Münster und würde gerne einiges von dem, was ich hautnah miterleben konnte teilen.
Wenn du dir etwas Zeit nimmst und mir folgen möchtest, freue ich mich sehr.

Als erstes ein paar Sachen zum Ergebnis des Gipfels:

Eine schlechte Aufbereitung und Moderation von seiten Dänemarks und immer stärker sichtbare krasse Zerwürfnisse in der internationalen Gemeinschaft haben dazu geführt, dass es keinerlei neue rechtliche Grundlage für die Reduktion von CO2-Emissionen gibt.
Obwohl am Freitag über 120 Regierungschefs vor Ort waren (1997 in Kyoto war es ein einziger!) und Obama großspurig ein zu verhandelndes Endergebnis auf den Tisch legte, fehlte am Schluss der wohlwollende Konsens. Nach Marathonsitzungen und massivem Druck seitens der Industriestaaten, den ärmsten Ländern bei Verweigerung der Gefolgschaft die Entwicklungszahlen zu streichen, platze Tuvalu der Kragen und endlich wurde gesagt, was schon lange nötig war: die vom Westen vorgeschlagenen und von China, Indien, Brasilien und Südafrika opportunistisch unterstützten Ziele helfen kleinen, strukturschwachen oder von klimatischen Veränderungen besonders stark betroffenen Gebieten nicht für 5 Cent. Alle Emissionsreduktionen zusammengenommen würde sich bis 2020 allerhöchsten 20% Reduktion erreichen lassen - wissenschaftlich dringend gefordert sind 40%. Inselstaaten wären damit einfach weg, Wüstengebiete nähmen rasant zu und dergleichen. Tuvalu, mit 12.000 Einwohnern insgesamt, tritt also der gesamten Industriewelt mächtig gegen das Schienbein und sagt: so nicht.
Trotz nächtlicher Sitzungsverlängerung und händeringendem Handeln und Erpressungen bleiben einige kleine Staaten endlich hart und machen klar: entweder ordentlich, oder gar nicht. So bleibt es und den "Copenhagen Accord" wird es auch weiterhin nur als Fußnote, die von der Weltgemeinschaft "zur Notiz genommen" wurde geben.

Nachzulesen recht schön hier:
Eskalation beim Gipfel

Soviel also zur offiziellen Seite.

Was passierte außenrum, was habe ich in der guten Woche in Kopenhagen gemacht?

Ich habe an 5 Demonstrationen teilgenommen, wovon diejenige am 12.12. eine der größten Umweltdemos der Geschichte mit 100.000 bunten AktivistInnen war.
700 Festnahmen: Aufregung bei Klima-Demonstration

Wenn ich nicht auf Demos war, dann entweder im Klimaforum, dem größten Alternativgipfel in der Stadt, oder im Climate-Bottom-Meeting in Christiania, einem ehemals besetzten Stadtteil und nunmehr seit über 25 Jahren sozialen Experiment. An beiden Orten wurde mir in zahlreichen großartigen Vorträgen, Workshops und persönlichen Gesprächen klar, dass sich hier eine wunderbare Bewegung formiert. Leute aus allen Ecken der Welt arbeiten kritisch, intelligent und kreativ an Möglichkeiten, soziale, ökologische, spirituelle und ökonomische Wege in einen nachhaltige Welt zu finden. Ich habe noch nie soviel positives Engagement, Wissen, Überzeugung und Inspiration an einem Ort gesehen wie hier. Für mich waren diese Orte die Punkte, an denen in den zwei Wochen tatsächlich über die Probleme und deren mögliche Lösungen diskutiert wurde. Im Bella-Center, dem Ort der offiziellen Verhandlungen, drehte sich alles eiskalt um Macht, Geld und Einfluss - abartig, angesichts dessen, was auf dem Spiel steht.
Wer einen Blick in die Progammhefte der beiden Veranstaltungen schauen möchte kann das hier tun:
Climate Bottom Meeting
Klimaforum09

Für die mit viel Zeit empfehle ich die Lektüre der "Declaration of the people", die im Klimaforum ausgearbeitet wurde und die echten und gerechten Umweltschutz anpacken würde:
Declaration of the people

Mittwoch gab es dann wieder Action: die Aktion "Reclaim Power", wunderbar zusammegefasst hier:
Reclaim Power Demonstration

Wer noch die Gruppe der Leute sehen will, die um die Polizei drumrum versucht hat, an und über den Zaun zu kommen, guckt sich das an:
Spiegel Online Video

Und damit sind wir beim traurigsten und heftigsten der Erlebnisse: meinem Tag im Gefängniskäfig der dänischen Polizei.
Wer beim letzten Video genau hingeschaut hat, konnte mich rennen sehen, (Pace-Flagge auf dem Rücken, rote Jacke): ich hatte wirklich keine Lust mehr, scheinheiligen Politikerreden, machtgeilen oder raffgierigen Programmen ruhig dabei zuzusehen, wie sie eine mögliche Zukunft der Erde in den Sand setzen. In der Schule werden uns die Helden des zivielen Ungehorsams ehrfürchtig beigebracht: Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Rosa Parks, Hans und Sophie Scholl etc. Menschen, die für ihre Ziele eingestanden sind und mehr getan haben, als zu reden.
Was wir nicht beigebracht bekommen, ist die tatsächliche Aktion. Den Mut, den Arsch hochzukriegen, wenn es an die Substanz unsere Rechte oder einer Zukunft geht. Der Punkt hat mir bislang auch gefehlt, irgendwie hatte ich nie soviel Mut, solche Aktionen wirklich zu unterstützen.

Auch wenn die Aktion in diesem Fall lange nicht so pathetisch war, wie im Rassen- oder Freiheitskampf, geht es hier doch geht gerade um unsere vedammte Zukunft.

Also bin ich gerannt. Um mich mit Menschen aus dem Bella-Centre zu treffen und gemeinsam eine große People's Assembly mit kritischen und kreativen Beiträgen aus Bevölkerungsgruppen, die vom ach-so-offenen demokratischen Prozess ausgeschlossen werden, abzuhalten. All das wurde vorher angekündigt, eine absolut friedliche, kreative Aktion des Widerstands.

Weit sind wir nicht gerannt.

Dann kamen Polizeiketten, Hunde, Pfefferspray und Schlagstöcke. Durch zwei Polizeiketten bin ich hindurch, in der dritten, auf einem Mittelstreifen haben mich zwei Polizisten niedergerissen, auf den Boden gedrückt und mir die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gefesselt. Ich hatte noch Glück, andere lagen mit blutenden Kopfwunden auf dem Gras. Beim Abführen frage ich "if I might have my gloves, from the ground"?. Die Antwort des Polizisten: "YOU don't deserve that!!" Das hat mich getroffen. Genauso die halbe Stunde, die ich in einer Kette mit anderen Festgenommenen auf der Straße saß. Genauso die weiteren 3 Stunden, die ich in einer Garagenhalle gefesselt auf dem Boden saß und seitdem mein linker Daumen leicht taub ist und meine Handgelenke immer noch schmerzen.
Dann wurde ich fotografiert und mir gesagt, dass ich keinerlei Anklage bekomme, keinen Eintrag in das polizeiliche Führungszeugnis und mir nichts zu Last gelegt wird - ich aber trotzdem bis zu 12 Stunden eingesperrt werde - präventiv.
Ohne Schuhe, Gürtel, Jacke und Rucksack geht es in einen Gitterkäfig in einer großen Halle. Dort stehen 40 solcher Käfige in mehreren Reihen. Jeder Käfig hat geschätzte 10m² und wird mit 10 Menschen gefüllt.
Die Stimmung in der Halle ist explosiv. Menschen sitzen in Käfigen wie Tiere, sie schreien, trommeln und randalieren. Polizisten rennen hilflos oder aggressiv von links nach rechts, schreien ebenfalls, lachen oder versuchen, sich in dieser unwürdigen Situation trotzdem anständig zu benehmen. Zu trinken gibt es kaum etwas, das wenige muss ich mit einem Strohhalm durch die Gitterstäbe aus einem dargebotenen Becher saugen. Nach 7 Stunden gibt es etwas zu essen. Für Veganer einen Apfel und eine Birne.
Menschen fangen an zu randalieren, reißen Trennwände nieder, die Polizei lässt die kalte Winterluft die Halle abkühlen, als das nichts hilft kommt Pfefferspray im geschlossenen Raum zum Einsatz. Riot-Cops rennen in einen Käfig und knüppeln dort die zusammengekauerten Randalierer nieder.

In dieser Atmosphäre der Gewalt und Aggression versuche ich, einfach ruhig zu sitzen, mich abzuschotten. Ich bin nicht aufgeregt, ich spüre weder Aggression noch Hass, trotzdem trifft mich das alles zutiefst. Erinnerungen an das Stanford-Experiment (http://de.wikipedia.org/wiki/Stanford-Experiment) steigen in mir auf. Menschen werden zu Tieren, gefangen in ihren sozialen Rollen oder im Kampf um jeden Zentimeter von Freiheit oder Würde.
Und alles ist doch nur ein Teufelskreis: mehr desselben. Mehr Gewalt, mehr Abscheu, mehr Aggression, mehr Herabwürdigung.
Ich versuche, all die Bedürfnisse der Individuen zu sehen. Das Bedürfnis nach Ruhe, nach Freiheit, nach Selbstbestimmung, nach Mitspracherecht, nach Anerkennung, nach Pflicherfüllung, nach Ordnung. All diese Bedürfnisse sind vorhanden und werden in dieser Situation nicht im mindesten erfüllt. Das führt zur Aggression, das führt dazu, dem Gegenüber die Menschlichkeit abzusprechen.

Wow... wie lässt sich das überwinden?

Ich spreche mit einigen Insassen über gewaltfreie Kommunikation, ich komme mit ein paar Polizisten ins Gespräch und sehe Menschen hinter den Uniformen. Aber das System außenrum ändert sich nicht, es ist immer noch ein undemokratisches, repressives Gefängnis.

10 Stunden nach meiner Festnahme bin ich wieder frei. Ich werde alleine hinter der Gefängnishalle auf die Straße gestellt. Es hat zu schneien begonnen, eine dünne weiße Decke der Unschuld überzuckert Kopenhagen und dämpft meine Schritte. Ich werde hinter dem Tor von einer kleinen Gruppe von solidarischen Umweltkämpfern begrüßt. "Hey, willkommen! Wir haben Kaffee und Zigaretten!" - Danke, nichts von beidem. Ich gehe alleine zur S-Bahn und fahre zu unserer furchbar netten Gastgeberin, Ingrid, und stelle mich lange unter die heiße Dusche.

Die Erlebnisse wirken immer noch nach.
In was für einer Welt leben wir, auch hier im ach-so-freien Europa?

Die Tage danach waren trotzdem gut, ich habe die Aktion nicht bereut und  weiterhin wunderbare Menschen getroffen, mir Vorträge angehört, bin am letzten Abend in der kleine Gemeinschaftssauna in Christiania gewesen und habe dort mit vielen Menschen für eine Atmosphäre des Verständigung und der Liebe getanzt.

Gestern, am Samstag habe ich zum Abschluss noch die Leute vom Climate Justice Fast getroffen, die Aktion an der ich als Unterstützer im November teilgenommen habe. Gemeinsam habe ich mit zweien, die seit 43 Tagen nichts mehr gegessen hatten, ihren ersten Gemüsesaft getrunken.
Dann bin ich zum Zug gegangen und mit Raphael gemeinsam nach Deutschland zurückgefahren.

Wie geht es weiter?

Nun, in mir ist die Überzeugung gewachsen, dass ich bei mir selbst anfangen muss. Beim Thema Klimawandel kommen alle großen Fragen zusammen: Ökologie, Gerechtigkeit, sozialer Ausgleich, Kommunikation, Gemeinschaft, Nachhaltigkeit, alternative Wirtschaftsysteme... All das muss gelebt und ausprobiert werden!
Zusammen mit anderen Menschen, in Netzwerken. Diese müssen größer werden und zwar so groß, dass der Druck auf Politik und Wirtschaft spürbar wird. Den Anfang habe ich in Kopenhagen erlebt, 100.000 Menschen für die Umwelt auf die Straße gehen zu sehen war großartig.

Eins ist klar: ich freue mich nun riesig auf friedliche Weihnachten mit meiner Familie (und vor allem meiner Patennichte!!).

Damit beschließe ich den Bericht, danke herzlich für eure Zeit und Geduld, wünsche euch ebenfalls frohe, entspannte Festtage und freue mich, euch mal wieder zu sehen oder mit euch zu reden!

Alles Liebe,
Euer Matthias

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